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Sex & Missbrauch

Sind Wichser Massenmörder?

Was sich wirklich hinter § 218 StGB verbirgt

Am 15.04.2024 wurde der von der Bundesregierung beauftragte Bericht der »Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin« veröffentlicht.

Diese Kommission von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern empfiehlt, ausgehend von »verfassungs-, europa- und völkerrechtlichen Vorgaben, von ethischen Überlegungen und unter Berücksichtigung medizinischer und psychosozialer Aspekte sowie der Versorgungssituation für schwangere Frauen« den selbstbestimmten Abbruch in der Frühphase der Schwangerschaft zu erlauben (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Kom-rSF/Abschlussbericht_Kom-rSF.pdf).

In Deutschland ist nämlich, anders als in vielen zivilisierten Staaten Europas, der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich illegal und bleibt nur in Ausnahmefällen straffrei (§218 StGB). Seit Jahrzehnten kämpfen Frauen gegen diese Stigmatisierung.

Schwangerschaftsabbruch
VOE STERN 24/1971 BS 1 Titel Titelseite Wir haben abgetrieben Abtreibung 1971_24 Schlagworte:Zeitschrift, Presse

Diesen Kampf werden die Frauen wohl auch noch weiterhin führen müssen, denn mit der so lange überfälligen Abschaffung des § 219a StGB, mit dem Ärztinnen und Ärzte kriminalisiert wurden, die sachlich über Möglichkeiten und Methoden von Abtreibungen berichten wollten, dürften Aufklärung, Fortschritt und Wissenschaft zunächst einmal ihr Ende gefunden haben. Weiter wird sich die selbsternannte »Fortschrittskoalition« kaum trauen, weil der Kommissionsbericht (schon vor seiner Veröffentlichung) ausgelöst hat, was nicht anders zu erwarten war:

Überall kommen die Schwurbler (und – ironischerweise –  Schwurblerinnen), die ewig Gestrigen und Kirche-Küche-Kinder-Fans aus ihren weihrauchdampfenden Löchern und »warnen« davor, die Bundesregierung solle bloß nicht den »gesellschaftlichen Konsens« gefährden.

Seit wann ist es »Konsens«, Frauen das Recht auf Selbstbestimmung zu nehmen und sie zu Gebärmaschinen zu degradieren? Seit es so in der Bibel steht?

Es lohnt sich sehr, den »Argumenten« der »Abtreibungsgegner« auf den Grund zu gehen, denn wie bei allem, was die Verbreiter des Bullshits auch sonst so von sich geben, werden niedere Triebe und ausbeuterische Absichten mit Parolen kaschiert, die, für sich genommen, doch gar nicht so furchtbar klingen: »Schutz des ungeborenen Lebens«, z.B.  

Demo Abtreibungsgegner

BR24 v. 13.04.2024: »Am Samstag haben sich in München zum vierten Mal christlich motivierte Abtreibungsgegner zu einem „Marsch fürs Leben“ getroffen. Nach ersten Polizeiangaben gingen rund 3.000 Menschen auf die Straße – mit Plakaten mit Aufschriften wie „Jedes Leben ist wertvoll“ oder „Abtreibung Nein Danke“. Die Veranstalter hatten zuvor mit 8.000 Teilnehmern gerechnet. (…) Man fürchte, dass die Kommission der Bundesregierung zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin am kommenden Montag „die Legalisierung von Abtreibungen und Leihmutterschaft in Deutschland vorschlagen wird“. Die Veranstalter würden darin „schwere Angriffe“ auf die im Grundgesetz garantierte Menschenwürde sehen.«

Wer mit seiner reinen Lehre (weitere Beiträge über das christliche – und das muslimische – Frauenbild folgen) keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlockt, weil die Erde eben nachweislich keine Scheibe ist und weil sie sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, muss sich etwas einfallen lassen, um mit seinem Bullshit trotzdem durchzukommen und Anhänger zu finden. Im Falle der Unterdrückung von Frauen handelt es dabei um die sog. »Rechtsgüterabwägung«. Aus »Halt Dein Maul und gebäre!« wird somit scheinbar etwas Abwägendes, Ausgleichendes, Salomonisches, ja regelrecht »Vernünftiges«.

Und es ist doch nur der gleiche Bullshit wie immer! Warum?

Schauen wir uns die »Argumente« doch mal etwas genauer an.

Als würde es tatsächlich eine Rolle spielen, wird die »Menschenwürde« als schützenswertes Rechtsgut dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen (das man ja ohne Shitstorm nicht mehr so leicht in Abrede stellen kann – so gern man es in Wirklichkeit auch tun würde) gegenüber gestellt. Das muss man dann angeblich »abwägen«.

Tatsächlich ist die Rechtsgüterabwägung ein Prinzip, ohne das keine Verfassung, auch nicht das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, funktionieren würde.

Wer ist denn, verfassungsrechtlich betrachtet, Träger des Rechtsgutes »Menschenwürde«?

Könnte das womöglich … der Mensch sein? In Art. 1 der UN-Menschenrechtserklärung, Basis von Art. 1 GG, heißt es, dass alle Menschen »frei und gleich an Würde und Rechten geboren« sind.

Geboren!

Und vorher? Was ist mit Föten, Embryonen und Blastozysten, von den Bullshit-Anhängern gern pauschal und willkürlich als »ungeborenes Leben« oder gar »ungeborene Kinder« bezeichnet? Kann ein Zellhaufen Grundrechtsträger sein? Ist dann ein Spermium ein halber Mensch? Kann die »Menschenwürde« von Föten, Embryonen und Blastozysten verletzt werden, so dass man diese mit dem Selbstbestimmungsrecht einer Frau abwägen muss?

In einer ebenso fatalen wie an den Haaren herbeigezogenen Entscheidung des BVerfG haben die vorwiegend männlichen Verfassungsrichter den § 218 StGB für verfassungsgemäß befunden.

Beachtlich daran ist, dass sie sich nicht auf die UN-Menschenrechtserklärung beriefen, sondern auf das Allgemeine Preußische Landrecht; präzise: § 10 I 1 ALR: »Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängnis.«

Wie kann man aber auf die absurde Idee kommen, einen empfindungsunfähigen Zellklumpen zum Grundrechtsträger von Menschenwürde zu erklären? Pure Willkür? Keineswegs, sondern Bullshit.

Die Kommission der Bundesregierung schreibt dazu in ihrem Bericht: »Dies hängt nicht zuletzt mit unterschiedlichen Auffassungen über den moralischen und rechtlichen Status des Embryos/Fetus und divergierenden Vorstellungen zur Rolle der Frau in der Gesellschaft, aber auch mit Blick auf Schwangerschaft und Mutterschaft zusammen. Unterschiedliche Wertvorstellungen ergeben sich in einer freien Gesellschaft aus einer Vielzahl divergierender und teils widerstreitender weltanschaulicher und religiöser Überzeugungen.«

Tja, die Rolle der Frau und die religiösen Überzeugungen …

Für Juden beginnt das menschliche Leben erst mit der Geburt. Bei Muslimen ist der Fötus ab dem 120. Tag der Schwangerschaft »beseelt«.

Für Katholiken gilt ein noch viel größerer Bullshit, nämlich der Grundsatz der »Simultanbeseelung« (Spermium trifft Eizelle – zack! »Beseelt«!), 1869 erfunden von Papst Pius IX., auch Urheber des Dogmas der »unbefleckten Empfängnis«, Leugner der Gewissensfreiheit und Erfinder der päpstlichen Unfehlbarkeit. Der damalige Geschäftsträger der spanischen Vatikan-Botschaft, Ximenes, der katholische Kirchenhistoriker Franz Xaver Kraus sowie diverse Bischöfe und Prälaten bezeichneten Pius IX. als »verrückt« bzw. »geisteskrank«. Am 03.09.2000 wurde dieser Irre von Johannes Paul II. seliggesprochen.

Eisenbahn von Papst

Nichts davon erscheint mir überraschend.

Bullshit als Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG?

Zumindest eingesickerte religiöse Überzeugungen, denn es ist nur auf die absurde Idee eines irren Kirchenoberhauptes zurückzuführen, eine Eizelle, in die ein Spermium eindringt, von diesem Augenblick an als »ungeborenes, menschliches Leben« und damit als Grundrechtsträger der Menschenwürde zu bezeichnen.

Würde es tatsächlich um Menschenwürde, um das Selbstbestimmungsrecht der Frauen und nicht in Wirklichkeit immer noch um ihre Unterdrückung und Domestizierung gehen, könnte man sehr leicht einen juristisch sauberen, menschenrechtlich einwandfreien und Qualen, Erniedrigung und Konflikte eindämmenden, wissenschaftlichen Lösungsansatz herbeiführen, statt sich auf die Hirnflatulenzen eines Geisteskranken im Vatikan zu berufen:

»(…) Verfassungsverstöße und die mit ihnen zusammenhängenden rechtslogischen Inkonsistenzen könnten überwunden werden, indem anerkannt würde, dass Blastozysten, Embryonen und Föten auf Basis der geltenden Rechtsordnung (namentlich der AEMR [Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – d. Verf.], des Grundgesetzes und selbst des BGB) keine Grundrechtsträger sein können. Das heißt nicht, dass entwickelten Föten keinerlei Schutz zukommen sollte. Zwar haben sie kein „Überlebensinteresse“ (da sie noch nicht über ein Ich-Bewusstsein verfügen und die Zukunft nicht antizipieren können), doch im Unterschied zu Blastozysten und Embryonen sind sie spätestens ab der 28. Schwangerschaftswoche in der Lage, Schmerzen zu empfinden. Entwickelte Föten haben zwar kein Interesse am Überleben, wohl aber das Interesse, keine Schmerzen zu erleiden. Berufsrechtlich ist Ärztinnen und Ärzten daher aufzugeben, der Schmerzempfindlichkeit des entwickelten Fötus im seltenen Falle eines nach dem ersten Trimester stattfindenden Schwangerschaftsabbruchs durch geeignete Methoden Rechnung zu tragen. (…) Einzig der Schwangerschaftsabbruch gegen oder ohne den Willen der Frau sollte weiterhin unter Strafe gestellt werden – und zwar im Rahmen eines neu zu schaffenden § 226b StGB. An die Stelle der bisherigen Beratungspflicht sollte ein niedrigschwelliges Beratungsangebot treten, in dessen Rahmen darauf hingewiesen werden kann, dass Schwangerschaftsabbrüche in einem möglichst frühen Stadium erfolgen sollten, um entwickelten Föten Leid zu ersparen. (…)«

Quelle: Plädoyer für eine Legalisierung des selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruchs, ifw-Stellungnahme für die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, v. Jessica Hamed / Jörg Scheinfeld / Michael Schmidt-Salomon

https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748940456-217/plaedoyer-fuer-eine-legalisierung-des-selbstbestimmten-schwangerschaftsabbruchs?page=1

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