Widerstand & Hilfe

Gibt es einen Bullshit nach dem Tode?

Keine Ruhe bei der letzten Ruhe

Vor ein paar Tagen wollte ich einen Instagram-Account anlegen. Ich wählte dafür den Namen »religionsfreierSeebär«. Unmittelbar nach Abschluss des Vorgangs ließ Instagram mich wissen, dass dieser Account sofort suspendiert wurde, weil er gegen die »Gemeinschaftsregeln« verstößt. Da es noch überhaupt keine Inhalte gab, konnte das nur an dem Namen liegen. Was hat Meta, das Allüberwachungssystem, gegen das die berühmte Orwell’sche Utopie wie ein Kindergeburtstag wirkt, eigentlich gegen Seebären?

Wahnvorstellung

Freiheit (und erst recht Freiheit von Religion) verstößt jedoch nicht nur gegen die »Regeln« der sozialen Plattform eines krakenhaften Monopolisten. Auch das deutsche Rechtssystem ist immer noch voll von Regeln, die den puren Bullshit schützen und keineswegs die Freiheit der Bürger. Dabei ist im liberalen Rechtsstaat nicht die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger begründungsbedürftig, sondern jegliche Einschränkung ihrer Freiheit. Der Gesetzgeber darf nur dann in bürgerliche Freiheiten eingreifen, wenn er hierfür eine rationale, evidenzbasierte, weltanschaulich neutrale Begründung vorlegen kann. (hierzu empfehlenswert: Huster, Stefan: Die ethische Neutralität des Staates, 2. Aufl., Tübingen 2017)

Maden in der Verfassung

Heute möchte ich mich mit einer besonders absurden Angelegenheit beschäftigen: Dem deutschen Friedhofszwang. Absurd auch deshalb, weil es mir eigentlich scheißegal ist, was nach meinem Tod mit meiner Leiche passiert, denn ich bekomme davon dann ja absolut nichts mehr mit. Allerdings beschäftigt mich schon seit vielen Jahren der gruselige Gedanke, dass man meine Leiche irgendwo verscharrt, verbrennt oder verbrennt und dann verscharrt oder was auch immer und dass dabei ein Typ in Frauenkleidern zugegen ist, den ich nicht kannte und vermutlich auch niemals kennen wollte und der dann mit dem verklärten Gesichtsausdruck eines gerade Oralverkehr mit seinem Ministranten gehabt Habenden irgendwelches dumme Zeug (womöglich auch über mich) erzählt.

Das wird nicht passieren, ich weiß, aber ist es nicht ein Witz, dass Menschen in Deutschland nicht einmal die Freiheit besitzen, darüber zu verfügen, was nach ihrem Tod mit ihrer Leiche passiert (ausgenommen unter bestimmten Voraussetzungen in Bremen)?

In Deutschland herrscht nämlich, anders als in den meisten außereuropäischen Ländern und anders auch als in der Schweiz, Tschechien oder den Niederlanden Friedhofszwang. Eine hübsche Urne mit meiner Asche darin auf einem Kaminsims? Illegal! Meine Leiche als Dünger unter einem hübschen Baum im Garten? Illegal!

Warum?

»In der römischen Antike waren Feuerbestattungen üblich, wobei die wohlhabenderen Familien die Asche ihrer Verstorbenen auf dem eigenen Grundstück bewahrten. Dies änderte sich erst mit der Machtübernahme des Christentums, das die Feuerbestattung vehement ablehnte. Grundlage dafür war der christliche Glaube an die ›leibliche Auferstehung der Toten‹, die bis zum Tag des ›Jüngsten Gerichts‹ in ›geweihter Erde‹ ruhen sollten.

Friedhof2

Die Ablehnung der Feuerbestattung wurde von beiden Kirchen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein aufrechterhalten, letztlich aber waren sie machtlos gegenüber dem zunehmenden Trend der Säkularisierung, der auch die Bestattungskultur in Deutschland revolutionierte. So ist der Anteil der Feuerbestattungen seit 1960 von 10 Prozent auf 64 Prozent gestiegen. Man erkennt hieran deutlich, dass sich die genuin christliche Bestattungskultur auf dem absteigenden Ast befindet. Geblieben ist jedoch der christlich inspirierte Friedhofszwang, der für Feuerbestattungen, bei denen nun wahrlich kein Friedhof erforderlich wäre, im gleichen Jahr eingeführt wurde wie der Eintrag der Konfessionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte. Das 1934 von Hitler und Frick unterzeichnete Gesetz zur Feuerbestattung wurde nach dem Krieg zur Grundlage der Bestattungsgesetze der Bundesländer, die den Friedhofszwang bis zum heutigen Tag aufrechterhalten.« (Quelle: Schmidt-Salomon, Michael: Der blinde Fleck des deutschen Rechtssystems, Zeitschrift Aufklärung und Kritik, Nürnberg 4/2018 – Download)

Im Rahmen dieses Friedhofszwangs jedoch entstehen mit einer Veränderung der Bestattungskultur immer mehr legale öffentliche Räume, in denen Hinterbliebene einen würdevollen Abschied von ihren Angehörigen ganz ohne Bullshit nehmen können. Das Trauern ohne religiöse Bevormundung ist z.B. in Niedersachsen im Waldbestattungshain Leineaue in Garbsen möglich, der in diesem Monat sein vierjähriges Jubiläum feiern konnte. Auf etwa 7.300 Quadratmetern bieten derzeit mehr als 250 Bäume Platz für rund 2.600 Urnen. (Quelle: https://hpd.de/artikel/waldbestattungshain-leineaue-vier-jahre-erfolgsgeschichte-22393 ; letzter Aufruf: 31.08.2024).

Immerhin!

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